Für dich ist das nichts Neues mehr. Die Aufmerksamkeit, Fürsorge und Zuwendung, die euer kleiner Schatz braucht, führen zu einem Verlust der Zweisamkeit als Paar: Du redest seltener mit deiner Partnerin oder deinem Partner über deine oder eure Bedürfnisse, sondern viel mehr über euer Kind oder die Organisation eures Lebens. Nur noch Eltern, kein Paar mehr – Vermisst du deine Partner:in?
Wir haben mit Jamila Mewes, Heilpraktikerin für Psychotherapie, gesprochen. Jamila bietet Paartherapie und Beziehungscoaching für Paare und Familien in allen Beziehungsformen in Berlin Prenzlauer Berg und online an. Sie ist seit 2011 verheiratet, hat drei Kinder und eine Menge Selbsterfahrung.
Wann hast du dich dafür entschieden Paartherapeutin werden zu wollen?
2012 bin ich zum ersten Mal Mutter geworden. Und in der Schwangerschaft, eigentlich erst nach der Geburt, haben wir festgestellt, wie sehr sich unsere Beziehung verändert hat. Damit kam eine ganz schön große Trauer. Aus der Perspektive einer Frau in einer Paarbeziehung habe ich auch Trauer und nicht nur Glück empfunden – anders, als wir uns das immer so hoffnungsvoll vorstellen.
Wir haben uns damals entschieden, uns Unterstützung zu holen. Wir wollten den Transfer einer reinen Paarbeziehung als Liebespaar zur Elternschaft schaffen, ohne eine zu große Wunde in unserer Paarbeziehung zu hinterlassen.
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Ich fand die Paartherapie so wertvoll und so wirksam. Danach habe ich mich entschieden, eine Ausbildung zur Paartherapeutin zu machen. Und die Therapie hat uns als Liebespaar dazu gebracht, einen Beziehungspodcast zu starten. (Link gibt es am Ende des Artikels).
Auch haben wir noch zwei weitere Kinder bekommen, die dann noch weitere Herausforderungen für unsere Paarbeziehung gebracht haben. Mittlerweile gibt es in unserer Kleinfamilie mehr Kinder als Eltern – also 2 zu 3. Es bleibt spannend.
Also fangen die Probleme der Paarbeziehung mit der Geburt des Kindes an?
Zu erkennen, wann die Probleme angefangen haben, ist gar nicht mal so einfach. Die Beziehungsprobleme mit der Geburt des Kindes zu verknüpfen ist etwas ‘schamvolles’. Es kann sich furchtbar anfühlen festzustellen: Wir haben uns dieses Kind gewünscht, sollten glücklich sein. Und jetzt soll damit etwas entstanden sein, dass uns nicht gut tut?
Meine eigene Erfahrung: Mein Mann Tino hat damals nach der Geburt unseres ersten Kindes gerade einen Film gedreht, war den ganzen Tag nicht zu Hause und stürzte sich Abends auf unser neugeborenes Baby – natürlich! Er hat sein Baby vermisst. Und ich war alleine, hab mich so auf ihn gefreut und sehe, wie er an mir vorbeigeht. Und dieses Bild, das es plötzlich etwas Wichtigeres im Leben gibt als uns zwei, das war unheimlich schmerzvoll.
Das gibt es aber auch andersherum. Oft haben Männer das Gefühl, abgeschrieben zu sein. Da hängt nun die ganze Zeit dieses Baby an der Brust oder am Körper und ich bin nicht mehr wichtig.
Das ist Verlust, das ist traurig. Und es ist wichtig zu erkennen, warum man traurig ist. Es geht nicht um die Geburt des Kindes, sondern um den Verlust der vollen Aufmerksamkeit des Partners – den Verlust der Zweisamkeit.
Mit welchen Fragen kommen Paare zu dir in die Sprechstunde?
Das ist ganz unterschiedlich. Bleiben wir bei den Paaren, die Eltern sind, weil diese ganz andere Herausforderungen haben als Paare, die keine Eltern sind.
Dann ist das letztlich die Frage – immer mal wieder anders gestellt – wie bleiben wir beieinander. Oder schaffen wir es noch mal zusammen zu finden, zurückzufinden. Wo bist du? Ich bin hier ganz allein.
Das Problem gibt es auch in Beziehungen ohne Kinder, aber mit Kindern ist das einfach noch mal hoch potenziert: sich nicht gesehen zu fühlen.
Wie pflegt man eine Paarbeziehung als Eltern?
Die Beziehung an sich ist eigentlich ein weiteres Kind. Also im Sinne der Aufmerksamkeit, die es braucht: sicher zu sein, gesehen zu sein, zu fühlen, wichtig zu sein.
Im Grunde geht es ja noch weiter. Wir haben unser inneres Kind, unser Kind oder Kinder und unsere Paarbeziehung als Kind: Full House.
Es ist ein Bewusstsein dafür notwendig, dass sich bei Frustration unser inneres Kind zeigt: Ich werde nicht gesehen von dir. Sich dessen bewusst zu sein ist wichtig, um wieder in die Erwachsenen-Ebene zu kommen.
Im Grunde geht es darum, die Paarbeziehung zu pflegen, genauso wie das gemeinsame Kind und das innere Kind.
Es klingt so simpel. Es geht einfach darum der Paarbeziehung mehr Aufmerksamkeit zu schenken und trotzdem ist es so kompliziert.
Ja, und ich sag dir auch, warum das so ist. Wenn wir im Mangel sind, und das sind wir, wenn wir ein Baby haben, dann ist es so schwer, nochmal, noch einer weiteren Person was zu geben. Aber das ist es, was abverlangt wird.
Im Grunde ist es so, dass wir übermüdet sind und dann auch noch hungrig, weil wir uns unter Umständen nur um die Bedürfnisse unseres Babys gekümmert haben und unsere eigenen Bedürfnisse zu sehr hinten angestellt haben.
Wir sind kontinuierlich fremdbestimmt. Und dann kommt jemand nach Hause und wir sind einfach erledigt. Und genau das ist der Punkt, bei dem wir davon ausgehen, dass es am ‘verzeihbarsten’ ist, nicht mehr zu geben, nicht mehr zu liefern, nicht mehr aktiv zu sein.
Können wir uns nicht einfach eine Pause nehmen?
Im Prinzip ist es in einer Paarbeziehung auch möglich zu sagen “ich kann heute nicht mehr”. Das funktioniert für eine gewisse Zeit. Aber eine dauerhafte Pause ist nicht gut für eine Beziehung.
Vor allem dann nicht, wenn wir nicht mitbekommen, was wir da tun. Sondern denken, dass das normal und verzeihbar sein muss, weil HEY, wir haben ein Kind. Dann übersehen wir das Problem.
Liebevolle Achtsamkeit ist hier so wichtig. Zum Beispiel könnte der Papa sich überlegen, was seine Partnerin zu Hause braucht: Schlaf, Essen, Zeit. Was kann ich daran ändern? Zum Beispiel Essen bestellen oder mitbringen, Hilfe organisieren, um ein bisschen mehr Ruhezeiten zu ermöglichen.
Wie schafft man es sexuelles Begehren trotz Alltagsstress mit Kind oder Kindern beizubehalten?
Wenn wir den ganzen Tag damit beschäftigt sind, mit unserem Kind zu kuscheln und es zu stillen, haben wir rein biologisch abends kein Verlangen nach Sex. Also müssen wir uns bewusst machen, dass wir ganz schön alle sind vom Alltag und ganz schön voll sind mit Oxytocin (Kuschelhormon).
Das heißt, wir brauchen eine bewusste Entscheidung für Sex. Weil unser Körper ist in den meisten Fällen beruhigt und müde. Früher hat uns unser Körper gezeigt, dass wir Lust auf Sex haben. Vom ersten bis hin zum zweiten Jahr nach der Geburt ist das eher nicht der Fall.
Hinzu kommt dann auch noch, dass sich unser Körper während der Schwangerschaft und nach der Geburt verändert hat. Frauen haben nach der Geburt oft keine Zeit, diesen neuen Körper für sich zu erkunden und haben Angst, dass dieser neue Körper dem Partner nicht mehr gefallen könnte.
Auch fühlt sich der Körper nach der Geburt anders an, reagiert anders auf Reize. Je länger dann die Pause der Intimität wird, desto schwieriger wird es dann auch wieder intim zu werden.
Ein wunderbares Thema für eine Paartherapie. Wie gemeinsam die Sexualität wieder entdeckt werden kann.
(Mehr Fragen und Antworten zum Thema “Sex nach der Geburt” .)
Welche Art von Konflikten führen zu einer Trennung
Ich glaube, es gibt für viele Paare eine Überraschung, wenn sie Eltern werden und sich vorher noch keine Gedanken darüber gemacht haben, wie sie mit den Kindern umgehen: Stichwort Erziehung.
Sie sind einfach davon ausgegangen, dass, wenn sie ein super Paar sind, auch super Eltern sein werden. Und plötzlich merken sie, dass einer möchte, dass das Kind diszipliniert am Tisch sitzt und der andere findet es unmöglich, dass das kleine Kind jetzt diszipliniert wird.
Das ist oft ein Streitpunkt, der als ein unlösbares Problem gesehen wird. Wobei die Trennung dann ein Trugschluss ist. Das Kind lebt dann ja trotzdem beide Erziehungsstile. Und das versuche ich auch Paaren, die sich Trennen wollen, zu erklären.
Als Liebespaar ist es doch viel besser nach dem Bedürfnis fragen. Worum geht es dem einen Elternteil eigentlich, wenn sie wollen dass das Kind diszipliniert am Tisch sitzt? Geht es um Kontrolle? Dann könnte man fragen, wie man das noch erreichen kann. Vielleicht durch einen strukturierten Alltag und Routinen?
Ich glaube, Paare trennen sich mit der Hoffnung auf Veränderung, weil die Situation, in die sie gekommen sind, zu einem Teil leidvoll erlebt wird: Nicht mehr schlafen, fremdbestimmt sein und dann ärgert man sich noch, dass man nicht ordentlich anerkannt und gesehen wird. Das alles ist leidvoll.
Für beide Elternteile ist es wichtig, ihre Bedürfnisse zu erkennen und diese dann auch dem Partner zu kommunizieren. Eine Entscheidung für eine Paartherapie kann hierbei unterstützen.
Hast du schon mal einem Paar empfohlen sich zu trennen?
Nein, das muss ein Paar für sich selbst erkennen. Oft geht es dann aber nicht allein um nicht-kommunizierte Bedürfnisse, sondern auch um unterschiedliche Werte.
Hast du einen praktischen Tipp, wie man es schafft, nach der Geburt eines Babys ein Paar zu bleiben?
Nach der Geburt des Babys ist es völlig in Ordnung, wenn die Elternschaft und das Baby an erste Stelle rücken. Und dabei nicht zu vergessen, dass die Paarebene und die individuellen Ebenen trotzdem einen Raum bekommen.
Was ich meinen Paaren immer gerne empfehle, dass sie einen separaten Chat für sich als Liebespaar haben. In denen sollen keine Einkaufszettel und Co ausgetauscht werden. Es ist auch völlig Ok nur Herzen zu versenden oder ein “ich denke an dich” oder “ich vermisse dich” zu verschicken. Es geht um Gemeinsamkeiten des Paares, das, was das Paar verbindet. Um dem anderen zu zeigen, dass er gesehen wird.
Liebe Jamila herzlichen Dank für unser Gespräch. Es hat uns so gut gefallen, dass wir einen Teil unserer Unterhaltung, über ‘Sex nach der Geburt', in einen weiteren Artikel gepackt haben.
Mehr zu Jamila
Wenn du Jamila direkt kontaktieren willst, findest du ihr Angebot auf ihrer Webseite. Auch hat sie gemeinsam mit ihrem Mann Tino einen Beziehungspodcast, in dem sie aus dem Leben erzählen.
Hier noch ein Link zur LBS-Familien-Studie (2002): https://www.pedocs.de/volltexte/2014/2089/pdf/Fthenakis_2002_Paare_werden_Eltern.pdf
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