Was sind die ersten 1000 Tage?
Lasst uns mal von ganz vorne anfangen. Die ersten 1000 Tage beginnen mit der Befruchtung und enden mit dem zweiten Geburtstag. Für die Zeit der Schwangerschaft werden 270 Tage angerechnet und zweimal 365 Tage für die ersten beiden Lebensjahre: macht 1000 Tage.
Dass diese Zeitspanne von so fundamentaler Bedeutung ist, hat neben anderen Wissenschaftlern der Arzt Berthold Koletzko, Leiter der Abteilung für Stoffwechsel und Ernährung an der Universität München, hervorgehoben. Er hat sich mit der “Theorie der ersten 1000 Tage”, also den Auswirkungen der frühkindlichen Ernährung auf die spätere Gesundheit, intensiv befasst und verwendet die Terminologie metabolische Programmierung.
Was der Arzt Berthold Koletzko mit metabolische Programmierung meint, nennt der Mediziner und TV-Arzt Matthias Riedl mehr oder weniger frühkindliche Prägung. So können falsche Ernährungsmuster aus der frühen Kindheit oder Schwangerschaft dazu führen, dass beispielsweise die Geschmacksentwicklung und damit auch die Gesundheit der zuckerlastigen Lebensmittelindustrie überlassen wird.
“Übergewicht und Adipositas sind bei Kindern und Erwachsenen zu einer globalen Pandemie geworden, mit ernsten Folgen für Gesundheit, Lebenschancen und auch gesellschaftlichen Kosten. Unsere Arbeiten haben gezeigt, dass Ernährung und Wachstum in den ersten beiden Lebensjahren das spätere Risiko stark prägen.” – Berthold Koletzko
Was kann in den ersten 1000 Tagen beeinflusst werden?
Grob: Die Entwicklung des Gehirns, Darms, Immunsystems – einfach alles, was ein Kind noch entwickeln muss. Also auch die Ausprägung von Allergien oder Hautkrankheiten wie Neurodermitis oder die Gewichtsentwicklung, die auch mit dem Lernen von Geschmacksvorlieben eng verknüpft ist, kann in den ersten 1000 Tage durch Ernährung von Mutter und Baby beeinflusst werden. Zusätzlich können in den ersten 1000 Tagen Gene durch eine gezielte Ernährung aus- oder angeknipst werden, was wiederum Einfluss auf Lern- sowie Gedächtnisfähigkeiten haben kann.
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Natürlich willst du deinem Baby einen bestmöglichen Start ins Leben geben. Wenn du noch in der Schwangerschaft bist, ist jetzt eine vollwertige, auf die Schwangerschaft abgestimmte Ernährung empfehlenswert. Und Achtung: Du brauchst jetzt deutlich mehr Nährstoffe, aber nicht die doppelte Menge an Essen.
Muttermilch ist ohne Zweifel das Beste für dein Baby. Abgestimmt auf das Alter deines Babys passt sich deine Muttermilch an die Bedürfnisse deines Babys an. Was aber, wenn Stillen nicht klappt? Dann ist es besonders wichtig, auf die Zutatenliste von Babymilch zu achten. Also darauf, ob alle wichtigen Nährstoffe zugesetzt sind.
Auch wenn dein Baby schon fleißig durch euer zu Hause krabbelt oder rennt, hast du noch Zeit, dein Baby für eine gesunde Ernährung bzw. Entwicklung zu prägen. Das Zeitfenster der ersten 1000 Tage geht bis zum zweiten Geburtstag.
In der Beikostzeit lohnt es sich, einen Blick auf die Verpackung zu werfen. Manche Hersteller von Babybrei verwenden Zucker und Salz in ihren Produkten.
Und nach der Beikostzeit, also nach dem ersten Lebensjahr, brauchen Kinder keine besonderen Gerichte mehr. Dennoch wird am Familientisch mitbestimmt, wie der Geschmack von Kindern geprägt wird.
Hinweis: Selbst dann, wenn dein Kind schon älter ist, kannst du es noch "umprogrammieren" oder “umprägen”. Es ist eben nur aufwendiger.
Wie entwickelt sich Babys Geschmack?
Pränatal
Wusstest du, dass du bereits in der Schwangerschaft den Geschmack deines Babys beeinflussen, also pränatal prägen kannst? Das geschieht über das Fruchtwasser. Davon trinkt ein Baby ab dem 4. Schwangerschaftsmonat 200 Milliliter pro Tag. Und der Geschmack des Fruchtwassers ändert sich abhängig davon, was eine Schwangere isst. So kann ein Baby genetisch angelegte Geschmacksvorlieben im Mutterleib entwickeln und den Geschmack von "süß", “sauer”, “bitter”, “salzig” und “umami” (herzhaft) kennenlernen. Funfact: In der Schwangerschaft kannst du beeinflussen, was dein Baby nach der Geburt lieber verzehrt. Denn Kinder bevorzugen nach der Geburt Geschmäcker, die sie in Mamas Bauch schon kennengelernt haben.
Angeborene Süßpräferenz
Babys sind nach der Geburt durch die Muttermilch an den süßlichen Geschmack gewöhnt. Süße Lebensmittel haben eine hohe Energiedichte und es gibt praktisch keine giftigen natürlicherweise süß schmeckenden Lebensmittel. Aber nicht nur den süßen Geschmack können Babys schmecken, abhängig von der Ernährung der Mutter kosten Babys auch verschiedene Geschmacksrichtungen durch die Muttermilch.
Evolutionsbedingte Prägung
Nach der Geburt entwickeln Babys Vorlieben für bestimmte Geschmackseindrücke, abhängig davon, was ihnen wiederholt angeboten wurde. Ganz nach dem Aspekt: “Iss, was du kennst”. Dieses Prinzip hängt mit einem evolutionsbedingten Sicherheitsprinzip zusammen und soll vor dem Verzehr von giftigen Lebensmitteln schützen („Mere-Exposure-Effect“ ). Ein weiteres Sicherheitsprinzip schützt vor einem Nährstoffmangel. Und zwar tritt bei einem ständig wiederholten Geschmack eine zunehmende Sättigung / Abneigung auf („spezifisch-sensorische Sättigung“). Beide evolutionsbiologischen Prinzipien zusammen optimieren Sicherheit („Mere-Exposure-Effect“) und Vielfalt (spezifisch-sensorische Sättigung) bei der Speisenauswahl.
Wann schmecken Babys welche Geschmacksqualität?
Ein neugeborenes Kind schmeckt erstmal die Geschmacksrichtungen “süß”, “sauer” und “bitter”, wobei es “süß” am liebsten mag. Mit vier Monaten kann es dann auch “salzig” und “umami” schmecken. Spätestens nach dem 5. Monat kommen mit der Beikosteinführung dann zum Geschmack noch Textur und vor allem der unterschiedliche Geruch dazu.
Angeborener Hunger und angeborene Sättigung
Jedes Baby hat einen angeborenen Hunger, Durst und Sättigungsgefühl. Es verlangt nach Mamas Brust oder eben nach dem Fläschchen, wenn es hungrig ist und hört auf zu trinken, wenn es satt ist. Die Entkopplung vom angeborenen, perfekten Mechanismus von Durst, Hunger und Sättigung kommt erst später. Also wenn „Essen, wenn man hungrig ist“ durch “Essen von außen festgelegten Essenszeiten“ abgelöst wird. Oder der Teller leer gegessen werden muss oder die Verpackungsgröße bestimmt, wie viel man isst. Hinzu kommen dann später noch psychologische und soziale Faktoren, die dazu führen können, dass der Speiseplan von der zuckerhaltigen Lebensmittelindustrie gelenkt wird.
Lernprozesse: Wie du eine gesunde Entwicklung/Prägung beeinflussen kannst
Babys am Familientisch sehen, was sich Mama, Papa, Geschwister oder auch Großeltern auf den Teller legen. All diese Menschen sind Vorbilder und hey, warum sollte das, was für sie gut ist, nicht auch für einen selbst gut sein? Babys lernen durch Beobachtung.
In der Erziehung verwenden viele Eltern immer wieder Essen zur Beruhigung ihrer Kinder. Das ist gefährlich, weil dies zu einem gestörten Essverhalten führen kann. Essen und Gefühle werden gekoppelt. So verlernen Kinder, Gefühl und Hunger zu unterscheiden. Fassen wir ein paar Tipps für dich zusammen.
Tipps für Eltern
- Essen und Gefühle nicht koppeln: Also Nahrung nicht als Belohnung, Bestechung oder Trost einsetzten
- Check die Verpackung: Kinder werden im Idealfall artgerecht ernährt. Also mit Muttermilch und/ oder Flaschennahrung und dann Beikost.
- Vielfalt auf den Tisch bringen: Biete deinem Baby eine Vielfalt an Lebensmittel an („Mere-Exposure-Effect“) und zeige selbst keine Abneigung für bestimmte “gesunde” Lebensmittel. Kinder brauchen keinen Zucker. Jeder Tag ohne Zucker ist ein Gewinn.
- Essensrituale schaffen: Gemeinsame Mahlzeiten am Familientisch, im Idealfall mit selbst gekochtem Essen, damit man genau weiß was drin ist.
- Abneigung gegen gesundes Essen vorbeugen: Gesundes Essen als normal und nicht als „gesund“ anpreisen. Wenn Kinder gedrängt werden „gesund“ zu essen, reagieren sie eher mit Abneigung.
- Süßigkeiten als Genussmittel behandeln: Süßes gehört zum Leben, aber nicht zum Alltag.
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Babymilch Testsieger bei Stiftung Warentest.
Quellen
Süddeutsche Zeitung:
https://www.sueddeutsche.de/leben/ernaehrung-kinder-essen-gesundheit-1.4742442?reduced=true
Wissenschaftliche Artikel:
https://link.springer.com/article/10.1007/s00103-010-1079-y https://link.springer.com/article/10.1007/s00112-009-2158-8 https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0195666312001092 https://www.doctors.today/a/praegung-praeferenzen-und-beeinflussung-1584234
Klinikum München:
Bücher:
Matthias Riedl: Die Macht der ersten 1000 Tage: Falsche Ernährungsmuster aus der frühen Kindheit aufdecken und der Prägungsfalle endlich entkommen (Artgerechte Ernährung), 2020
Sascha Inderbitzin und von Ulrike Blarer: Die ersten 1000 Tage für Mama, Papa und Kind: Ernährung während der Schwangerschaft und den ersten beiden Babyjahren mit den besten gluten- und milchfreien Rezepten, 2021