Hallo Annalena, wir freuen uns sehr, dass du dir heute Zeit für uns genommen hast. Als Notfallärztin und als verheiratete Mama mit Zwillingen hast du bestimmt einiges zu tun. Zusätzlich haben du und dein Mann Lukas zusammen “12minutes” gegründet und bilden online Mütter und Väter zum Thema Erste-Hilfe für Babys aus. Lass uns gleich mit den Fragen loslegen.
Warum habt ihr euren Erste-Hilfe-Kurs für Babys "12minutes" genannt?
Sehr gerne! Vielen Dank, dass ich heute hier sein darf.
In Deutschland dauert es durchschnittlich 12 Minuten, bis der Rettungsdienst vor Ort eintrifft. Natürlich kann es insbesondere in der Stadt auch mal kürzer sein, in ländlichen Gebieten aber auch mal länger. Wir haben unserem Kurs diesen Namen gegeben, weil wir Eltern helfen wollen, diese schrecklich langen Minuten bestmöglich zu überbrücken.
Wie sieht eine normale Atmung bei Babys in den ersten und späteren Lebensmonaten aus?
In den ersten Lebensmonaten atmen Babys normalerweise hauptsächlich durch die Nase. Erst im Laufe der Zeit – so mit drei bis vier Lebensmonaten – entwickeln Säuglinge die Fähigkeit, auch durch den Mund zu atmen. Bei Neugeborenen beträgt die normale Atemfrequenz zwischen 35 und 45 Atemzügen pro Minute. Bei Säuglingen ab 6-12 Monaten fängt die Atemfrequenz an, sich der von älteren Kindern anzugleichen. Auch das Atemmuster wird regelmäßiger. Die Atemfrequenz liegt dann in der Regel zwischen 20-30 Atemzügen pro Minute.
Und, woran erkennt man an der Atmung eines Babys, dass etwas nicht stimmt?
Es gibt vier Faktoren, die für Eltern ein Anzeichen dafür sein können, dass etwas mit der Atmung nicht stimmt:
- Blauverfärbung der Haut oder Lippen und Fingernägel (Zyanose): Dies kann ein Zeichen für eine Unterversorgung von Sauerstoff sein.
- Veränderte Atemfrequenz: Zähle die Atemzüge des Babys pro Minute. Im Normalfall sollte die Atemfrequenz zwischen 35 und 45 Atemzügen pro Minute liegen. Eine zu langsame oder zu schnelle Atemfrequenz über einen längeren Zeitraum kann ein Alarmzeichen sein.
- Veränderte Bewegungen des Brustkorbs und der Atemhilfsmuskulatur: Achte darauf, ob sich die Nasenflügel des Babys bei jeder Einatmung bewegen und ob der Übergang von Hals und Brustkorb sinkt. Ist die Atmung gleichmäßig auf beiden Seiten?
- Auffällige zusätzliche Geräusche: Achte auf mögliche Geräusche wie Quietschen, Rasseln, Brummen oder Pfeifen. Diese können ein Zeichen für eine Bronchitis mit verengten Atemwegen sein.
Welche Sofortmaßnahmen gibt es bei ungewöhnlichen Atemmustern?
Leider gibt es nicht für alle Atemwegserkrankungen oder Atemmuster gute Sofortmaßnahmen. Beim sog. Pseudokrupp, einer Virusinfektion, der häufig mit einem starken bellenden Husten auffällt, kann die Atemnot durch kalte, feuchte Luft – also z.B ein Stehen vor der offenen Kühlschranktür – gelindert werden.
Das A und O ist das ungewöhnliche Atemmuster zu erkennen und frühzeitig den Notruf abzusetzen.
Wir stellen auch immer wieder fest, dass es extrem wichtig ist, den Sauerstoffverbrauch möglichst gering zu halten und Panik führt unmittelbar zu einer Stressreaktion mit erhöhten Sauerstoffbedarf. Daher ist es so wichtig – wie leider auch schwer für Eltern – in solch einer Situation die Ruhe zu bewahren und das Baby zu beruhigen.
Welche Erstickungsrisiken für Babies gibt es?
Die größte Gefahr sind Verschluckungsunfälle, also wenn ein Säugling oder auch Kleinkind aus Versehen einen Gegenstand eingeatmet hat. Hierzu zählen vor allem kleine Spielzeugteile, Nadeln, Murmeln, Knöpfe und Münzen oder auch ein Stück Lebensmittel wie Trauben, Blaubeeren, Wurstscheiben oder Cocktailtomaten.
Je nach Konsistenz und Form kann der Fremdkörper die Luftröhre oder auch die Hauptbronchien teilweise oder komplett verlegen, sodass wenig bis keine Luft mehr durch die Luftröhre in die Lunge strömen kann. Dies ist dann ein absoluter Notfall.
Was mache ich, wenn mein Baby sich verschluckt hat?
Zunächst sollten Eltern erst einmal überprüfen, ob der Fremdkörper sich noch im Mund befindet. Also einmal in den geöffneten Mund schauen. Wichtig: Auf keinen keinen Fall in der Rachentiefe nach Fremdkörpern suchen.
Sollte das Baby gut husten, dann wartet man erst einmal ab, denn nichts ist so gut wie ein effektiver Husten. Man kann aber ein bisschen unterstützen, indem man das Baby leicht nach vorne beugt.
Das Gegenteil eines effektiven Hustens ist ein ineffektiver Husten. Ineffektiv heißt, der Fremdkörper löst sich nicht, das Husten wird leiser und das Baby kann zwischen dem Husten nicht richtig Luft holen.
Sobald der Husten ineffektiv wird, sollten Eltern sofort reagieren und auch den Notarzt kontaktieren.
- Eltern sollten ihr Baby umgehend in Bauchlage auf den Unterarm oder den Oberschenkel legen. Hierbei sollte der Oberkörper schräg nach vornüber gebeugt liegen. Wichtig ist, dass der Kieferwinkel mit einer Hand festgehalten wird, damit das Köpfchen bei dem Manöver nicht von vorne nach hinten schleudert.
- In dieser Position sollten bis zu 5 kräftige Schläge auf den mittigen Rücken ausgeübt werden.
- Sofern der Gegenstand nicht sichtbar aus dem Mund fällt, sollten Eltern sich immer wieder durch Nachsehen vergewissern, ob dieser bereits nach oben in den Mund gelangt ist.
- Falls ja, kann er mit 2 Fingern entnommen werden. Falls die 5 Schläge auf den Rücken keinen Effekt hatten, so sollten im Anschluss 5 Brustkorbkompressionen in Kopftieflage durchgeführt werden. Diese Manöver sollten so lange fortgeführt werden, bis der Fremdkörper sich gelöst hat oder der Rettungsdienst eintrifft.
Was sind klassische Fehler, die Eltern intuitiv machen, wenn sich ihr Kind verschluckt hat?
Wie erwähnt, greifen viele Eltern direkt aus Reflex in den Mund des Kindes. In den Mund schauen und nach Fremdkörper suchen und diese behutsam entfernen ist richtig. Aber Eltern sollten auf keinen Fall in der Rechentiefe nach Fremdkörpern tasten, die sie gar nicht sehen können. Dadurch würden sie die Teile weiter in den Rachen schieben und die Situation verschlimmern.
Ein anderer Fehler, den Eltern häufig machen ist, dass sie bei Kindern unter einem 1 Jahr, weil sie es aus der Erwachsenen-Erste-Hilfe kennen das Heimlich-Manöver anwenden. Dieses ist aufgrund von mehreren Gründen nicht für Säuglinge geeignet. Zum einen ist die Kopf Haltemuskulatur in diesem Alter noch nicht ausgeprägt genug und der Kopf würde bei dem Manöver hin und her schleudern. Zum anderen kann das Manöver zu einem Schaden – wie inneren Blutungen – der noch im Wachstum befindlichen Organe führen.
Wie kann man das Risiko für Ersticken vermeiden?
Als vorbeugende Maßnahmen sollte man alle Gefahrenquellen beseitigen, d.h. Babys nur mit geeignetem Spielzeug spielen lassen und kleine Gegenstände immer außer Reichweite lagern. Hier ist die Schwierigkeit, wenn im Haushalt bereits ein älteres Geschwisterkind lebt.
Als einfache Regel kann man sich merken: Alles, was durch den geschlossenen Daumen und Zeigefinger (der Erwachsenenhand) passt, ist zum Spielen für ein Kleinkind nicht geeignet.
Die andere Gefahr ist das Verschlucken im Sinne von Einatmen von Nahrungsmitteln. Hier sollte man auch insbesondere beim Beikoststart darauf achten, dass Lebensmittel sicher eingeführt werden, d.h. Rohkost sollte am Anfang gedünstet sein, Nüsse sollten am Anfang in Form von Nussmus angeboten werden und feste und glatte Beeren oder Tomaten sollten in vier Stücke geschnitten werden.
Beim Thema Essen und Sicherheit gibt es natürlich noch viele weitere Tipps, die z.B. die Wahl des Hochstuhls betreffen. Hier ist es sinnvoll, einen Hochstuhl mit Fußstütze zu wählen. Dadurch ist der Sitz fester, was beim Essen selbst hilft, aber auch im Falle eines Verschluckens, weil dann der Husten kräftiger ausfällt und der Fremdkörper besser herausgehustet werden kann.
Sind Erstickungsrisiken auch die Ursache für den plötzlichen Kindstod?
Der plötzliche Kindstod geht häufig mit vielen verschiedenen Ursachen einher, die zum Glück auch immer besser erforscht sind. Das Thema sicherer Kinderschlaf beunruhigt viele Eltern bereits vom ersten Tag an und so konnte das Auftreten des plötzlichen Kindstod bereits seit den 80er Jahren deutlich gesenkt werden.
Was sollten Eltern wissen: Die Schlafumgebung beeinflusst die Atmung deines Babys maßgeblich. Um eine sichere Schlafumgebung für das Baby zu schaffen, sollten ein paar Empfehlungen beachtet werden:
- Das wäre ein Schlafen in Rückenlage im eigenen Bettchen im Elternschlafzimmer auf einer festen Schlafunterlage.
- Eine Raumtemperatur im Schlafzimmer bei ca. 18–20 Grad und die Verwendung eines Babyschlafsacks.
- Rauchfreies Schlafzimmer bzw. eigentlich alle Zimmer in Haushalten mit Kindern.
- Gut belüfteter Schlafbereich, um eine gesunde Atemluft zu gewährleisten.
Warum ist es so wichtig für frischgebackene Eltern einen Erste-Hilfekurs zu machen?
Eltern sein, insbesondere Neu-Eltern sein, ist schon aufregend genug! Notfälle passieren, man kann nicht jede Eventualität hervorsehen, außerdem passieren 60% aller Notfälle am Kind zu Hause und Eltern sind dann oft erstmal auf sich allein gestellt.
Um dann in Notfallsituationen bestmöglich helfen zu können, sind am Besten alle Eltern und alle Personen, die an der Betreuung von Babies und Kindern beteiligt sind, in Erste-Hilfe geschult. Wichtig ist aber nicht nur einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert zu haben, denn nur wer regelmäßig übt und wiederholt, ist im Notfall dann auch in der Lage, die Maßnahmen abzurufen und richtig anzuwenden.
Wir hoffen mit "12minutes" das Thema Erste Hilfe weiter zu “entangsten” und noch ganz viele Eltern zu Lebensrettern machen.
Herzlichen Dank Annalena für das wirklich sehr spannende Gespräch!
Dr. med. Annalena Dehé
Annalena ist Fachärztin für Innere Medizin und Notfallmediziner sowie verfügt über die Zusatzbezeichnung ernährungsmedizinische Grundversorgung. Sie ist Mutter von Zwillingsmädchen und hat mit ihrem Ehemann Dr. med. Lukas Dehé, der ebenfalls Facharzt und Notfallmediziner ist, im Jahr 2022 "12minutes" gegründet.
12minutes
12minutes ist ein innovativer Online-Kurs für Erste Hilfe. Das Besondere: Zum Kurs erhält jeder Teilnehmer/in eine eigene Übungspuppe in Säuglingsgröße, um regelmäßig Erste-Hilfe-Maßnahmen üben und wiederholen zu können. Warum 12 Minuten? So durchschnittlich lange dauert es, bis der Rettungsdienst im Notfall ankommt, also die Zeit, in der Eltern alleine sind. Damit Eltern diese Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes sinnvoll nutzen können, haben Annalena und Lukas 12minutes gegründet. Weitere Informationen und den Link zum Kurs findest du auf 12minutes.de.
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